Ende einer Liebe

Es ist einfach nur traurig, dass mir etwas, das ich immer sehr geliebt habe, Stück für Stück genommen wird und mir dabei auch noch bewußt wird wie sehr ich all das Unappetitliche immer verdrängt habe. Zu groß war aber meine Faszination für den Radsport im Allgemeinen und für die großen Rundfahrten im Besonderen. Anfang der Neunziger Jahre fing ich an mir stundenlang die Tour de France Berichterstattung auf Eurosport anzusehen. Das war noch in der Pre-Ullrich-Ära und ARD/ZDF hatten die Tour zu dieser Zeit noch mehr oder weniger ignoriert. Also lauschte ich dem unvergessenen Klaus Angermann, der gemeinsam mit Rudi Altig das Geschehen kommentierte. Altig tat sich dabei immer durch seine besonders angenehm nuschelige Aussprache hervor. Unvergessen wie ich einmal kurz vor Ende einer Etappe aufhorchte weil ich hörte: „Bis der Alex Zülle im Ziel ist, sind die anderen Fahrer schon längst im Bordell.“. Fand ich einleuchtend, aber es stellte sich dann doch heraus, dass Rudi das Hotel meinte. Zum geflügelten Wort wurde für mich sein Standard-Ausspruch „Der muss jetzt mal ’n bißchen am Horn ziehen!“. So richtig konnte es keiner nachvollziehen, dass ich mir auch schon mal abends eine vierstündige Aufzeichnung einer Bergetappe ansah und zwar ohne Vorzuspulen. Ich fand und finde immer noch, dass es neben Schach keine Sportart gibt, die soviel taktisches Geschick und soviel Verstand erfordert wie der Radsport. Natürlich war mir auch schon damals klar, dass es da einige schwarze Schafe geben würde, die ihrem eigenen Vermögen nicht 100% trauen konnten. Auch der liebe Rudi gab unverblümt zu, dass man schon zu seiner Zeit die Tour „nicht nur mit Apfelschorle“ gewinnen konnte. So richtig schocken konnte mich das aber komischerweise auch nicht, denn irgendwie gehörte dieser ständige Dauerverdacht einfach dazu. Immerhin war ich nicht so naiv zu glauben, dass ausgerechnet das damalige Team Telekom ein letzter Hort des sportlichen Anstands gewesen wäre. Mir war immer klar, dass auch ein Jan Ullrich noch was anderes als Apfelschorle im Fläschchen hat. Beeindruckend fand ich seine Leistungen trotzdem und ausserdem war er doch auch so ein netter Kerl.

Nun haben sich die Nachweismethoden für Doping in aller Form so weit verbessert, dass das eigentlich auch den Fahrern nicht verborgen geblieben sein dürfte. Dass es einige trotzdem nicht lassen können, läßt eigentlich nur die Vermutung zu, dass es sich bei Ihnen schlichtweg um Süchtige handelt. Diese verkommenen Typen stellen sich dann auch tatsächlich noch in aller Öffentlichkeit hin und beteuern ihre Unschuld. Aktuell der momentan Führende der Tour, Michael Rasmussen. Rasmussen und der junge Contador haben am Montag den Anstieg nach Plateau de Beille 1:30 Minuten schneller bewältigt als das EPO-Monument Lance Armstrong vor einigen Jahren. Für wie blöd halten die mich eigentlich? Ein Alexander Winokurov verliert auf der Etappe am Freitag 20 Minuten auf Rasmussen, deklassiert am Samstag das gesamte Feld beim Zeitfahren und gewinnt dann eine schwere Bergetappe? Alles klar! Was für ein Idiot! Bringt sein Leben in Gefahr, läßt sich fremdes Blut in die Venen spritzen, gibt einer ganzen Sportart den endgültigen Todesstoß und riskiert damit die berufliche Existenz von hunderten Kollegen, von denen das große Feld der Wasserträger vermutlich wirklich ohne Drogen arbeitet. Als Krönung verläßt er die Szenerie durch den Hinterausgang und faselt etwas von Verschwörung.

Während ich das hier schreibe läuft im Hintergrund wieder Eurosport und Rasmussen und Contador knüppeln einen 16%-igen Anstieg in atemberaubenden Tempo hoch. Immerhin gab es heute ein Novum zu vermelden. Erstmals wurde ein Träger des gelben Trikots beim Start mit Pfiffen begrüßt und laut der Eurosport-Kommentatoren wird er auch während des Anstiegs im Berg ausgebuht. Ich gucke mir das immer noch an, allerdings mittlerweile nicht mehr aus sportlicher Bewunderung sondern als Freak-Show und Reality-Crime-Show. Wenn die Junkies von heute endlich von der Bildfläche verschwunden sind, dann kann ich mir auch wieder eine Tour voller Begeisterung für aussergewöhnliche sportliche Leistungen anschauen.

P.S.: Sieg für Rasmussen. Wieder eine Niederlage für den Radsport!

P.P.S.: Heute wurde ein bestenfalls zweitklassiger Fahrer von Cofidis überführt. Die Theorie, Wasserträger wären sauber, ist auch zusammengebrochen. Ich bin so sauer auf diese Loser!

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