ESC – der Liederwahnsinn

Herr Doktor ich habe ein großes Problem, traue mich aber nicht so richtig darüber zu reden.

Nur zu, Sie machen sich ja kein Bild was ich schon alles so gehört habe. Es geht also wahrscheinlich um „unten rum“, oder?

Nein, nein, so ist es nicht. Eher im Gegenteil. Ist wohl was Psychisches, glaub’ ich.
Also ich lass die Katze jetzt mal einfach aus dem Sack.

Doch „unten rum“. Ich habs ja gesagt.

Nein, ich bin ESC-Fan!!!

Davon hab ich allerdings noch nie was gehört. Welche Symptome treten auf?

Nun, ich ziehe mir Musik rein, die ich eigentlich abscheulich finden sollte. Ich halte mich für musikalisch aufgeklärt. Verehre die Doors, halte Bob Dylan für bahnbrechend und gleichzeitig überbewertet, The Who sind meine Helden, Oasis sind toll und Radiohead noch viel toller. Trotzdem überkommt es mich jedes Jahr wieder. Meine Füße wippen im Takt zu schwedischen Happy-Schlagern, ich summe maltesische Schmachtballaden und flöte israelische Ethnomotive.

Ist das Ganze chronisch oder kommt es eher in schubartigen Anfällen?

Das ist saisonabhängig. Meistens geht es im November, Dezember los und zieht sich dann bis Mitte Mai.

Woher beschaffen sie sich diese Musik? In einem normalen Plattenladen wird es solch gefährliches Zeug doch sicher nicht geben, hoffe ich?

Da haben Sie Recht, aber im Internet können Sie doch heutzutage alles bekommen. Im November des letzten Jahres ging es z.B. mit den ersten Liedern der albanischen Vorentscheidung los. Die sammelten sich dann so nach und nach auf meiner Festplatte. Weiter ging es mit Ukraine, Finnland, Litauen, Bulgarien….

Betreiben Sie dabei nur eine hamsterartige Vorratshaltung oder kommt es bisweilen auch zum Konsum?

Ständig, Herr Doktor! Ich höre mir einfach alles an.

Können Sie dabei körperliche oder psychische Reaktionen feststellen?

Allerdings. Die Reaktionen sind aber ganz unterschiedlich. Manchmal habe ich das Gefühl ich bekäme keine Luft und müsste mich erbrechen. Meistens fühle ich mich beim Anhören aber erstaunlich gut. Bei dem moldawischen Beitrag bin ich immer geradezu euphorisiert und aufgekratzt, beim finnischen und lettischen seltsam ergriffen. Beim bosnischen Lied bekomme ich immer Lachanfälle und beim belgischen und monegassischem werde ich ganz fürchterlich müde und muss ständig gähnen. Da hilft dann nur das Lied aus Norwegen. Das macht mich wieder putzmunter.

Ich glaube dieses ständige emotionale Auf und Ab bekommt Ihnen nicht. Haben Sie schon mal mit jemandem darüber gesprochen?

Ja, habe ich. Es gibt da dieses Internetforum unter www.ogae.de . Denen geht es auch so wie mir. So richtig helfen können die mir aber auch nicht. Aber die haben da einen guten Weg gefunden sich abzulenken. Die beschäftigen sich nämlich sehr eingehend mit Statistik. Ständig erstellen sie Ranglisten und finden die seltsamsten Wege ihr Leiden immer wieder in neue Punktetabellen zu fassen.

Ich fürchte dieser Umgang tut Ihnen nicht gut.

Aber es ist doch bald vorbei. In einer Woche werde ich alles überstanden haben. Dann kann ich mich wieder um anderes kümmern. Um Raimunds Shubidu-Contest oder Yannis Intermezzo zum Beispiel.

Ich verstehe nicht ganz!

Oh ich glaube da erzähle ich ihnen erst in einer unserer nächsten Sitzungen von, sonst würden Sie mich wahrscheinlich doch gleich einweisen.

5 Kommentare

  1. Wie sich die Schicksale doch gleichen… 😉

    Gut, okay – die Namen der musikalischen Heroen muß man natürlich austauschen, die heißen bei mir ganz anders, aber ansonsten sind mir diese Symptome natürlich auch sehr vertraut.

    Gerüchten zufolge soll es sogar Personen geben, bei denen dieses suchtartige Verhalten so weit fortgeschritten ist, daß sie über das Internet den obskursten mehrteiligen Vorentscheidungen zu diesem Event per live-stream folgen. Und das ohne Rücksicht darauf, daß das dort dargebotene zumeist das Niveau von Karaoke-Wettbewerben bei diversen Betriebsfeiern nicht wesentlich überschreitet. Oft ist sogar das Gegenteil der Fall und dennoch wird parallel dazu per Chat analysiert und bepunktet was das Zeug hält.

    Ist das nicht herrlich, seinen latenten Masochismus auf so harmlose Art ausleben zu können? Jedenfalls allemal besser, als der Verblödungswelle per Television zu erliegen und sich (Daily) Soaps, Reality-Shows oder gar Casting-Shows anzutun…

    Ach ja, ein Wort der Warnung noch: Dieses *ähem* Krankheitsbild ist hochgradig infektiös – meine beiden Kinder zeigen auch schon starke Symptome 😉

    Jetzt muß ich aber los… ich brauche noch ein Scoreboard… für Donnerstag… Du weißt schon!

  2. Dann wünsch‘ ich dir mal ne spannende ESC-Woche. Das Semi gibt’s bei mir nur als Aufzeichnung (wg. Nachtschicht grrrr!), der Samstag wird aber richtig schön mit Wein und Leckereien begangen. Vorher wird der kleine Sohn natürlich mit Valium vollgepumpt, damit die Eltern in Ruhe gucken können 😉

  3. Valium?

    Vaaaaalium???

    Nee, also bei uns läuft das ein wenig anders ab: Die drei höchsten Feiertage des Jahres (also VE, Semi und natürlich der ESC höchstselbst) sind so ziemlich die einzigen im Jahr, an denen meine beiden Racker freiwillig einen Mittagsschlaf abhalten, nur um am Abend fit genug für den langen TV-Marathon zu sein. (Na gut, es sind ja auch die einizigen drei Tage, an denen wir das auch erlauben… aber immerhin!)

    Während meine Tochter Eva (7) übrigens heuer noch keinen Favorten erwählt hat (wohl weil keiner an ihren Liebling Sakis aus 2004 heranreicht…), hat mein Sohn Oliver (5) sich schon festgelegt: Ivan & Delfin aus Polen machen’s seiner Meinung nach heuer. Na, mal sehen.

    Auch Euch jedenfalls viel Spaß.

  4. -LOL-

    Bitte nicht zu wörtlich nehmen! Unser Kleiner ist mit seinen 17 Monaten weniger am ESC interessiert als viel mehr daran seine Eltern ununterbrochen auf Trab zu halten.
    Wenn er erst mal älter ist, hoffe ich dass er meine Begeisterung teilen wird und sich später an schöne, lange Abende im Mai erinnern wird.

  5. 17 Monate?

    Ist doch ein gutes Alter, um mit dem Training für „ESC – The Next Generation“ zu beginnen 😉

    Ich erinnere mich noch gut an wilde Tänze mit meiner Tochter zu ESC-Musik. „Ooh, Aah just a little bit“ und „Shir habatlanim“ waren da hoch im Kurs – meine Arme schmerzen heute noch, wenn ich diese Songs höre. Höhö!

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