Im Wartezimmer unterhalten sich zwei Teenager. Die Mitwartenden (bis auf einen) sind mit ihren Phones beschäftigt. Die Girls wähnen sich aus unerfindlichen Gründen ganz unter sich. „Wenn ich nicht mit meinen Eltern in den Urlaub fahre, wollen sie mir 400€ zum Shoppen geben. Das ist ja gar nicht so wenig aber im Urlaub würde ich die viel mehr kosten. Da ist bestimmt noch was rauszuholen.“
Um 06.15 Uhr steigen nahe der Antoniuskirche vier Ordensschwestern, vermutlich afrikanischer Herkunft, in die Straßenbahn. Sie setzen sich getrennt voneinander in verschiedene Bankreihen und wechseln kein Wort miteinander. Das haben sie am Freitag schon so gemacht, am Donnerstag und die drei Tage davor auch.
Die Mittvierzigerin vor mir in der Warteschlange trägt einen knallroten Kurzanorak mit dünnen weißen Streifen zur bordeauxroten Cordhose und setzt dem ganzen die Krone, bzw. die Mütze auf, in dem sie eine indigorote Kopfbedeckung mit Ohrenklappen dazu kombiniert. Es scheint sich um eine Spätgebärende zu handeln. Sie stopft ihren zu großen Sohn in einem zu kleinen Kinderwagen mit Haribo Colorado voll.
Mein Sohn sitzt neben mir in der Straßenbahn und schließt auf seinem Display scheinbar gerade Transfers bei FIFA18 Ultimate Team ab. „Die Rückrunde wird sicher hart. Was meinst Du?“ – „Was?“ – „Ich bin auf die Rückrunde gespannt. Könnte hart werden.“ – „Mal gucken. Ich habe jetzt den Agüero im Sturm.“ – „Fortuna meine ich. Echter Fußball!“ – „Ach so…ja…kann sein.“
Während ich auf den Tod wartete, blieb mir das Journal des dix-neuvièmistes, dessen nächste Versammlung in weniger als einer Woche stattfinden sollte. Und dann war da noch der Wahlkampf. Viele Männer interessieren sich für Politik und Krieg, aber ich konnte einer solchen Beschäftigung nichts abgewinnen, ich war politisiert wie ein Handtuch, was wahrscheinlich schade war. Es stimmt, dass die Wahlen in meiner Jugend so uninteressant waren, wie man es sich nur denken konnte. Die Dürftigkeit des »politischen Angebots« war sogar wirklich frappierend. Nächster Halt: Kronprinzenstraße Man wählte einen Mitte-links-Kandidaten, abhängig von seinem Charisma für die Dauer von einem oder zwei Mandaten, ein drittes wurde ihm aus undurchsichtigen Gründen verwehrt. Dann wurde das Volk dieses Kandidaten beziehungsweise der Mitte-links-Regierung überdrüssig – hier ließ sich gut das Phänomen des demokratischen Wechselspiels beobachten –, woraufhin die Wähler einen Mitte-rechts-Kandidaten an die Macht brachten, ebenfalls für die Dauer von ein oder zwei Mandaten, je nach Typ. Nächster Halt: Bilker Allee/Friedrichstraße Seltsamerweise war der Westen überaus stolz auf dieses Wahlsystem, das doch nicht mehr war als die Aufteilung der Macht zwischen zwei rivalisierenden Gangs, nicht selten kam es sogar zu einem Krieg, um dieses System anderen Ländern aufzuzwingen, die diesbezüglich weniger enthusiastisch waren. Nächster Halt: Morsestraße
Ich bin schwer begeistert 😊