Jede Fußball-WM, an die ich mich erinnern kann, ist für mich mit ganz besonderen Erinnerungen verbunden. Da dieses Großereignis nur alle vier Jahre stattfindet, bleibt es nicht aus, dass diese Erinnerungen auch einen Teil meiner persönlichen Entwicklung widerspiegeln. Ich versuche mich jetzt also mal an meine ganz persönliche WM-Historie zu erinnern und die Erinnerungen mit meinem Weg durch die letzten Jahrzehnte zu synchronisieren.
Mexiko 31.05. – 29.06.1986
Die Neue Deutsche Welle hatte ich unbeschadet überstanden und Dallas hatte mich komplett in seinen Bann gezogen. Dienstagabend um 21.45 Uhr war für meine Mutter und mich ein Jour fix. In der Schule hatte ich mittlerweile die Mittelstufe erreicht und ich lavierte mich ganz gut hindurch, ohne jedoch irgendwelche ehrgeizigen Ambitionen zu entwickeln. Erste amouröse Anbahnungen führten mich nach Angermund wo mein Freund Holger wohnte und mir bald Katja vorstellte, die Tochter von Freunden seiner Eltern. Katja war in solchen Dingen ebenso Anfänger wie ich und vielmehr als Händchenhalten oder ein vorsichtiger Abschiedskuss am Bahnhof waren zunächst mal nicht drin. Meine Mutter fand uns wohl ganz putzig und als sie eines Nachmittags mein Zimmer betrat um uns Saft zu bringen, war sie vermutlich einigermaßen erleichtert, uns ganz züchtig beim Spielen von Winter Games auf meinem C64 vorzufinden. Bald wurde mir diese Angermund Connection aber zu langweilig und die Sache schlief gänzlich unspektakulär ein.
Die traditionelle WM-LP der Nationalmannschaft konnte mich 1986 überhaupt nicht mehr begeistern, immerhin sang die deutsche Kickerelite diesmal gemeinsam mit Peter Alexander. Der war für einen 15-jährigen natürlich ein absolutes No-Go und musikalisch war Mexiko Mi Amor eh allerunterste Schublade.
Ähnlich wie auch bei der gerade laufenden WM , fanden die Spiele teilweise zu nachtschlafender Zeit statt und meine Eltern hätten es nie zugelassen, dass ich mir die Nächte um die Ohren geschlagen hätte. Glücklicherweise hatte es sich aber zwischenzeitlich ergeben, dass wir zusätzlich zu unserer Drei-Zimmer-Wohnung in der vierten Etage auch noch die Zwei-Zimmer-Wohnung eine Etage höher angemietet hatten, in der ich eines der beiden Zimmer bewohnte. Das andere Zimmer diente anfangs quasi als zweites Wohnzimmer, wurde nach und nach aber von meinem Vater als Refugium okkupiert wenn ihm die Familie zu sehr auf die Nerven ging. Nachts war ich nun aber stets alleine in dieser Wohnung und so war es ein leichtes, sich die späten Spiele auf dem Fernseher im Nachbarzimmer anzusehen. Da unser Haus generell recht hellhörig war, musste ich immer auf Zehenspitzen rüber schleichen und ich bildete mir tatsächlich ein, dass meine Eltern nichts davon merken würden. Eines der Spiele, die ich hier angeschaut habe, war das Achtelfinale gegen Marokko. Es war ein fürchterlich verkrampfter Kick, was der Kommentator in erster Linie der Bullenhitze in Monterrey zuschrieb. Ich konnte das recht gut nachempfinden denn auch bei uns herrschte der Hochsommer und in meiner Wohnung im fünften Stock war es vermutlich ähnlich heiß wie in Mexiko. Am 17.06.1986 betrug die Höchsttemperatur in Düsseldorf satte 33,5°C. Wer weiß, wie eine Verlängerung gegen die hitzeresistenten Marokkaner ausgegangen wäre. Da Matthäus aber in der 88. Minute zum 1-0 traf, wurde diese Frage doch noch hinfällig.
Bei dieser WM betätigte ich mich als eifriger Archivar. Ich sammelte sämtliche Zeitungsausschnitte mit WM-Bezug und klebte sie fein säuberlich auf Blätter auf, die anschließend in einem Ordner landeten. Dieser Ordner hat glücklicherweise meine sämtlichen Umzüge überlebt und auch meine Kinder sind von dieser Fleißarbeit einigermaßen beeindruckt. 1986 war auch die erste WM, zu der ich mir das Kicker-Sonderheft geholt hatte. Schon damals habe ich immer gesagt, dass ich auf diese Hefte gut aufpassen werde weil es bestimmt unheimlich spannend wäre, sich die 30 Jahre später noch mal anzugucken. Heute kann ich sagen: Stimmt!
Die Mannschaft von 1986 war mir ehrlich gesagt nicht sonderlich sympathisch obwohl sie im Nachhinein betrachtet vielleicht nicht ganz so unmöglich war wie die von 1982. Sie spielten einen mittelprächtigen, nur manchmal recht ansehnlichen Fußball und standen plötzlich und unerwartet schon wieder im Endspiel. Nach gut 20 Minuten lag Argentinien nach einem grauenhaften Fehler von Toni Schumacher in Front und kurz nach der Pause stand es dann auch schon 2-0. Ich hätte im Leben nicht mehr damit gerechnet, dass da noch irgendwas gehen könnte, aber wie aus heiterem Himmel stand es nach 81 Minuten 2-2. Völler hatte den Ausgleich erzielt und ich ging in die Küche um mir für die anstehende Verlängerung noch ein erfrischendes Kaltgetränk zu holen. Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, traf Burruchaga gerade zum 3-2 und aus Wut schmiss ich die Wohnzimmertür so beherzt hinter mir zu, dass das Geschirr im Sideboard in Schwingung geriet. Das bescherte mir einen ordentlichen Anpfiff von meinen Eltern, die der Meinung waren, nichts auf der Welt würde es rechtfertigen, sich dermaßen undiszipliniert zu verhalten. Die hatten ja keine Ahnung, wie sauer ein 15-jähriger sein kann.
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